Gestaltpsychologie
Die Grundannahme der Gestaltpsychologen über die menschliche Wahrnehmungsorganisation ist, dass wir nicht nur einzelne Informationselemente verarbeiten, sondern sie über verschiedene Gestaltprinzipien zu einem sinnvollen Ganzen -einer Gestalt- zusammenfügen.
Wahrnehmung bedeutet demnach nicht, dass wir schlicht und ergreifend jegliche Sinnesreize einzeln in uns aufnehmen und verarbeiten (wie es Humes Assoziationsismus annimmt), sondern dass der menschliche Geist (teils angeborene) Filtermechanismen oder Ordnungsprinzipien besitzt, um aus einzelnen Reizen/Elementen ein zusammenhängendes Gesamtbild zu formen. Damit geht die Gestaltpsychologie einen Schritt weiter als der Elementarismus: Gedanken werden nicht aus einzelnen Wahrnehmungselementen zusammengesetzt, sondern sind „als Ganzes mehr als die Summe der Einzelteile.“ (siehe auch Systemtheorie und Emergenz).
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Auf der Abbildung sind schwarze Kreisesegmente zu sehen. Bereits diese wirken in der Summe wie Kreise, welche mit weißen Linien durchzogen sind. Doch obendrein erkennen wir einen weißen Würfel, der physikalisch gar nicht da ist (wir sehen mehr als die Summe der Einzelteile). Im Gegensatz zu einer klassischen visuellen Illusion wird der Effekt dieses Phänomens bei einer Aufklärung eher noch stärker – es handelt sich bei solchen Gestalten also nicht um eine (optische) Täuschung, sondern um eine Grundeigenschaft der Wahrnehmung.
Max Wertheimer (1880-1943), Kurt Koffka (1886-1941) und Wolfgang Köhler (1887-1967) begründeten Anfang des 20.Jahrhunderts die Berliner Schule, die sich ebendiesen Forschungen zur Gestalttheorie widmete. Zur Erforschung der Phänomene wurde wie in der Denkpsychologie und im Elementarismus die Introspektion genutzt, gepaart mit einem experimentellen Versuchsaufbau. Im Gegensatz zum Elementarismus/Introspektionismus war aber eben nicht das Ziel, die eigene Wahrnehmung in Einzelelemente zu zerstückeln, sondern die Gesamtwahrnehmung zu erkunden.
Die in Leipzig vorherrschende Strömung des Elementarismus wurde von den Gestaltpsychologen kritisiert. Sie forderten eine ganzzeitliche Betrachtungsweise psychologischer Phänomene, direkt auf der Ebene des betrachteten Gegenstands und nicht auf Ebene seiner Einzelbestandteile. Damit vertraten die Gestaltpsychologen einen empistemischen Holismus. Konnektionistische Netzwerke, wie z.B. Hopfieldnetze, bieten heute eine Brücke zwischen dem elementaristischen Assoziationismus und dem gestaltorientierten Holismus: einerseits werden Gesamt-Eindrücke in als verteilte Repräsentationen im Netzwerk abgespeichert (z.B. das Bild eines Würfels). Andererseits kann das Netz aus wenigen Einzelteilen anschließend das Gesamtbild wieder rekonstruieren (z.B. den Würfel aus der oben gezeigten Bruchstückhaften Silhouette). Als rückgekoppelte Systeme liefern diese Netze eine Erklärung sowohl auf der Element- als auch auf der Gesamtsystemebene.