Vermeidung von Täuschung

Aus eLearning - Methoden der Psychologie - TU Dresden
Version vom 1. Juli 2015, 14:38 Uhr von Paulina (Diskussion | Beiträge)
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Im Rahmen der Richtlinien der DGPs (Deutsche Gesellschaft der Psychologie) gilt es außerdem als unethisch, Probanden während der Untersuchung bewusst zu täuschen. Faktisch ist dies aber häufig unumgänglich, da anderweitig keine Möglichkeit bekannt ist, ein interessierendes Phänomen zu beobachten. In etwa 50% aller Studien zu Marketing oder zur Sozialpsychologie wird Täuschung bewusst zu Forschungszwecken genutzt. Hierbei kann man die aktive Täuschung von der passiven Täuschung unterscheiden. Wer beispielsweise Falschinformationen über Studienziele oder genutzte Untersuchungsmethoden vermittelt, sog. Confederates an einer Studie teilhaben lässt (Verbündete der Versuchsleitung, die sich als Probanden ausgeben), falsche Rückmeldungen zu Leistungen des Teilnehmers bringt etc, täuscht den Probanden aktiv. Von passiver Täuschung spricht man, wenn relevante Informationen über den Ablauf der Studie vorenthalten werden (z.B. Heimliche Beobachtung des Verhaltens von Probanden im "Warteraum" etc.)

Gründe für Täuschung

Forscher nutzen die bewusste Täuschung von Probanden aus unterschiedlichen Gründen.

Vermeidung gekünstelten Verhaltens
Probanden, die über das Untersuchungsziel informiert sind, besitzen die Tendenz, ihre Aufmerksamkeit auf den Untersuchungsaspekt zu lenken, sprich, sich selbst zu beobachten und sich dadurch anders oder künstlich verhalten. Das kann Testergebnisse verfälschen.
Wenn einer Versuchsperson bekannt ist, dass in der folgenden Untersuchung ihre Blinzelhäufigkeit notiert wird, während sie eine Denkaufgabe löst, wird sie vermutlich gar nicht anders können, als auf ihr Blinzeln zu achten und dadurch häufiger oder weniger zu blinzeln, als dies unter Normalbedingungen der Fall wäre.

"Täuschung zur Vermeidung der Täuschung"
Außerdem tritt häufig das Phänomen auf, dass Probanden, die vom Untersuchungsziel wissen, bewusst versuchen, den Versuchsleiter zu täuschen. Grund hierfür kann beispielsweise ein Schamgefühl sein, die wahren Gedanken oder Reaktionen zu äußern, wenn es sich um sehr persönliche Aspekte handelt, über die geforscht werden soll.

Manipulation der UV - Kontrolle durch Confederates
Bei Experimenten, an denen mehrere Personen beteiligt sind, bzw. das Verhalten eines Probanden in einer Gruppe analysiert werden soll, werden oft sogenannte "Confederates" (Verbündete des Versuchsleiters) eingesetzt, um eine soziale Situation zu simulieren. Die Versuchsperson kann in diesem Fall natürlich nicht darüber aufgeklärt werden, dass ihre Mitmenschen nur Schauspieler sind, da sonst der natürliche Kontext verloren geht. Confederates werden aus dem Grund eingesetzt, dass die soziale Situation in einem Experiment oftmals die unabhängige Variable darstellt, also die situative Bedingung, die manipuliert wird (z.B. simulierter Gruppendruck vs. kein Gruppendruck).

Herstellung seltener Ereignisse
Nicht immer können zu untersuchende Phänomene, wie sie "natürlicherweise" vorkommen, für psychologische Untersuchungen genutzt werden. Wenn menschliche Verhaltensweisen während seltenen Ereignissen untersucht werden sollen, muss eine Situation gegebenenfalls im Labor nachgestellt werden, ohne, dass die Versuchsperson bemerkt, dass es sich um eine Manipulation handelt. (z.B. Confederate simuliert epileptischen Anfall während eines "Computerexperiments", die Reaktion des Probanden wird analysiert.)

Minimierung von Risiken für TN
Oftmals ist es schlicht sicherer, einem Probanden eine Situation vorzutäuschen, als die Untersuchung als Feldstudie durchzuführen.
Z.B. sollten Studien zu aggressivem Verhalten unter Provokation mit Confederates untersucht werden, um die Kontrolle über den Ablauf zu behalten (sollte ein Proband z.B. handgreiflich werden, kann ein Confederate bzw. der Versuchsleiter jederzeit den Versuch abbrechen und den Probanden über die Situation aufklären.)


Gründe gegen Täuschung

Im Konflikt zu den durchaus nachvollziehbaren Gründen, eine Probandentäuschung herbeizuführen, stehen einige ethische Grundsätze, die eigentlich klar gegen bewusste Täuschungsversuche sprechen:
Auch wenn eine Täuschung vielleicht weniger direkt ist – wer täuscht, lügt. Ob dies in einem seriösen, öffentlich-wissenschaftlichen Rahmen wirklich zugelassen werden kann, ist ethisch fraglich. Psychologen werden in der Gesellschaft als Vertrauenspersonen angesehen. Dieses Vertrauen wird gegebenenfalls auch über den Forschungsrahmen hinaus gebrochen, wenn ein Proband von seiner Täuschung erfährt. Insofern ist fraglich, inwiefern Studien, die mit Täuschung arbeiten, die Vertrauenswürdigkeit der Gesamtheit aller Psychologen gefährden kann. Ganz generell kann sich auch über das Berufsfeld der Psychologie hinaus eine allgemeine Skepsis gegenüber Wissenschaft und Forschung ausbreiten, was für die Rekrutierung von neuen Versuchspersonen und allgemein für die Forschung natürlich einen erheblichen Schaden bedeuten würde. Zudem können während des Untersuchungsprozesses Gegenreaktionen von Versuchspersonen auftreten ("Sie wollen mich doch sowieso nur täuschen/ausbeuten/…"), sodass durch den Widerwillen Testergebnisse nicht mehr auswertbar sind.
Wie bereits angesprochen wurde, unterschreiben Versuchsteilnehmer vor Beginn einer Studie den "Informed Consent" und bestätigen, dass sie über die Inhalte und Ziele der Studie aufgeklärt wurden. Dies bestätigt ebenfalls der Versuchsleiter, der jedoch von der anstehenden Täuschung weiß. Faktisch wird ein Versuchsteilnehmer also schon beim Unterschreiben des freien Vertrages zwischen ihm und der Versuchsleitung betrogen. Um dies an Ende der Untersuchung wieder zu beheben, wird jeder Teilnehmer nach der Untersuchung ausführlich aufgeklärt. Dies ist in erster Linie wichtig und ethisch korrekt, allerdings kann man auch hierbei negative Konsequenzen für den Probanden hervorrufen. Eventuell führt eine Aufklärung dazu, dass der Proband im Nachhinein ein Gefühl von Dummheit erfährt, die Täuschung nicht bemerkt zu haben. Dies ist ein Beispiel für einen psychischen Schaden, dessen Vertretbarkeit in jeder Studie individuell wieder neu eingeschätzt werden muss. br/> Ein weiteres Risiko stellt die Simulation eines Notfalls dar. Wenn Personen sich schon einmal in einer Notfallsituation befunden haben, die sich nachträglich als manipuliert erwies, sinkt unter Umständen in einem echten Notfall das Einschätzungsvermögen der Situation und die Hilfsbereitschaft - schlicht aus der (unterschwelligen) Ahnung heraus, schon einmal getäuscht worden zu sein.

Vermeiden von Täuschung

Wissenschaftler sind aus den oben genannten Gründen stets bemüht und von der Ethikkommission angehalten, Täuschung so weit wie möglich zu vermeiden. Es bieten sich u.a. folgende Studiendesigns an (die natürlich wiederum ihre eigenen Nachteile mit sich bringen), um Täuschung auszuschließen:

Feldstudien
Wer in der natürlichen Umgebung forscht, umgeht die Notwendigkeit der Täuschung. Allerdings ergibt sich hierbei ein anderes Problem, nämlich die Nicht-Einhaltung des Informed Consent: Die unfreiwilligen Versuchspersonen können weder ihre Teilnahme am Experiment bestätigen, noch werden sie über den Ablauf der Studie aufgeklärt.

Simulationen und Planspiele
Bei einigen Forschungsfragen kann in Erwägung gezogen werden, ob eine psychologische Fragestellung durch eine Simulation oder ein interaktiveres Planspiel ähnlich gut beantwortet werden kann wie eine deutlich aufwändigere Feldstudie oder eine Studie mit Täuschung. In diesem Fall würden die Versuchsteilnehmer zwar wissen, dass es sich nicht um eine reale Situation handelt, aber hätten dennoch die Möglichkeit, sich in eine relativ realitätsbezogene Simulationssituation hineinzuversetzen.
z.B. Flugsimulatoren zur Untersuchung von Kooperation zw. Pilot und CoPilot, Unternehmensplanspiel zur Eignungstestung eines Bewerbers für Chefstelle, Verkehrssimulationen zur Untersuchung von Aufmerksamkeit im Straßenverkehr…

Rollenspiele
In diesem Versuchsaufbau wird den Probanden die Aufgabe gegeben, sich in eine bestimmte Figur bzw. Situation hineinzudenken und sich genau so zu verhalten, wie sie es in dieser Position unter den gegebenen Bedingungen auch in natürlicher Umgebung tun würden. Problematisch an dieser Methode ist vor allem, dass das gezeigte Verhalten der Versuchspersonen –auch wenn sie sich bemühen- dennoch hypothetisch bleibt. Gerade bei nachgestellten Situationen, die Probanden noch nie so erlebt haben, können sie nur vermuten, wie sie sich tatsächlich verhalten würden.

Einwilligung zur Täuschung
Es besteht außerdem die Möglichkeit, Personen, die in einem sog. "Subject-Pool"* eingetragen sind, um eine generelle Einwilligung über mögliche Täuschung in anstehenden Studien zu bitten. So besteht zwar das Risiko, dass das Wissen, eventuell gerade getäuscht zu werden, Testergebnisse verändert, aber man befindet sich mit seiner Studie auf der ethisch korrekten Seite.
Eine anderer Weg wäre, während der Aufklärung zu Beginn einer Untersuchung anzudeuten, dass es Studien gibt, die mit Täuschung arbeiten und dass auch diese Studie eventuell betroffen ist. Versuchspersonen können dann ihr "OK" geben und bleiben dennoch relativ unwissend über ihre tatsächliche Situation.

Minimierung von Schäden durch Täuschung – Fragenkatalog

Um Schäden durch Täuschung so gering wie möglich zu halten, sollte sich ein Forscher während den Überlegungen zu einem Versuchsaufbau folgende Fragen stellen:

1. Ist die Täuschung wirklich notwendig? Gibt es Alternativen?
2. Wieviel Täuschung ist notwendig? An welchen Stellen kann Täuschung vermieden werden?
3. Welche Schäden drohen durch die Täuschung?
4. Ist es im Rahmen des Versuchs möglich, sich eine Einwilligung zur Täuschung einzuholen?
5. Kann eine nachträgliche Aufklärung den entstehenden Schaden vermeiden?
6. Rechtfertigt der Erkenntnisgewinn die Täuschung?


  • Ein Subject-Pool beschreibt eine Gruppe von Personen, die sich bereit erklärt haben, in einer Versuchspersonen-Datenbank eingetragen zu werden um regelmäßig für Studien kontaktiert zu werden und an diesen teilzunehmen.