Agentenmodelle - Komputationale Modelle kollektiven Verhaltens
Agentenmodelle stellen komputationale Modelle kollektiven Verhaltens dar und dienen der Modellierung von Inter-Agenten-Prozessen. Es handelt sich um sozialorientierte Modelle, die sich mit der Entstehung von Verhalten durch das Zusammenspiel von Individuen, den sogenannten Agenten, beschäftigten.
Die für die Fragestellung relevanten Einheiten, z.B. Menschen, Insekten, Gruppen oder auch Neurone, werden dabei in Form von Agenten dargestellt. Diese sind individuelle, autonome (Software-) Einheiten, welche nach eigenen Zielen handeln und in eine begrenzte 2D oder 3D Umgebung aus anderen Agenten, Ressourcen (z.B. Nahrung, Information), Gefahrenquellen und weiteren Parametern eingebettet sind. Die Agenten handeln in dieser Umwelt aktiv und reaktiv, d.h. sie besitzen Entscheidungs- oder Handlungsmöglichkeiten, die nach bestimmten Zielen und Regeln eigenständig und/oder als Reaktion auf ihre Umwelt einsetzt werden. Da sie nur über eine begrenzte Informationsmenge und Rationalität verfügen, wenden sie ihre individuellen Regeln auf Basis dieser aktuell verfügbaren Informationen an. Die Agenten sind dabei in der Lage sowohl mit anderen Agenten als auch ihrer Umwelt zu interagieren.
Es ist möglich, sowohl das individuelle Verhalten der Agenten, deren direkte Interaktionen sowie sogenannte stigmergische Interaktionen zu modellieren. Bei Letzterem handelt es sich um eine indirekte Form der Interaktion, in welcher Agenten ihre lokale Umgebung verändern, worauf sie selbst oder andere Agenten anschließend reagieren. Zudem kann die räumliche Verteilung der Agenten in der Umwelt modelliert werden.
Man unterscheidet anhand des Abstraktionsniveaus zwei unterschiedliche Gruppen von Agentenmodellen:
- Idealisierte Modelle
- Idealisierte Modelle versuchen die Realität auf ihre wesentliche funktionelle Essenz zu reduzieren und abzubilden. Dies führt zu einer weiten Generalisierbarkeit und breiten Anwendbarkeit des Modells. Es besteht jedoch das Risiko wichtige Einflussgrößen zu übersehen und somit zu ignorieren. Ein Beispiel dafür kann die Vernachlässigung des Einflusses der Medien in einem Modell zur Beschreibung von Meinungsansteckung und daraus resultierender Gruppenbildung sein.
- Detailgetreue Modelle
- Detailgetreue Modelle bilden die Daten der realen Welt möglichst realitätsgetreu ab und versuchen mittels dieses Vorgehens eine Fragestellung aus der Realität so präzise wie möglich zu beantworten. Der Nachteil dieser Modelle ist, dass sie bei einer zu großen Menge von unzureichend eingeschränkten freien Parametern zu viele mögliche Outcomes vorhersagen können. Zudem führen sehr komplexe Modelle häufig nicht zu einem besseren Verständnis der Realität.
Die Entscheidung, welche Form von Modellen bevorzugt werden sollte, muss dabei immer anhand verschiedener Kriterien getroffen werden, deren Bedeutsamkeit kontextabhängig variieren kann. Es ist beispielsweise zu beachten, wie präzise die Modelle zukünftige Daten vorhersagen sollen, wie wichtig spezifische Elemente zur Determination zukünftigen Verhaltens sind, wie leicht oder schwer die Einschätzung der Bedeutsamkeit der Elemente für das Modell ist und wie groß der Wunsch nach einer einfachen, prägnanten und verständlichen Erklärung ist.
Agentenmodelle ermöglichen beispielsweise die Erklärung sozialer Phänomene wie Rassentrennung, Staus und gewalttätiger Aufstände. Ein Beispiel dafür stellt das „Model of Residential Segregation“ von Schelling (1971) dar. Es beschreibt das Phänomen, dass amerikanische Städte sich in ethnisch getrennte Stadtteile gliedern, obwohl keiner der Bewohner sich explizit zu rassistischen Ansichten bekennt (für ein interaktives Beispiel, siehe https://ncase.me/polygons/). Das Modell basiert auf der Annahme, dass selbst dann, wenn ein Mensch nicht aktiver Rassist ist, aber in seiner Umgebung eine gewisse Anzahl an Menschen mit gleicher Hautfarbe benötigt um sich wohlzufühlen, eine solche Stadtteilaufteilung resultieren kann. Einwohner können dabei beispielsweise der Regel folgen, dass sie umziehen, wenn sie sich an ihrem aktuellen Wohnort in der Minderheit befinden (Anteil gleicher Hautfarbe < 50 %). Diese gesellschaftliche Entwicklung kann folgendermaßen modelliert werden: Man verwendet 2 Arten von Agenten deren zentrale Eigenschaft ihre Farbe darstellt. Sie sind beispielsweise entweder rot oder grün. Die Agenten sind in der Lage die Farbe der Agenten in ihrer direkten Umgebung wahrzunehmen. Ihre Handlungsfähigkeit besteht darin, dass sie ihre Position ändern, indem sie beispielsweise einen beliebigen anderen freien Ort innerhalb der Umgebung besetzen, wenn sie in ihrer aktuellen Umgebung in der Minderheit sind. Dies führt nach einiger Zeit zur Gruppierung der Agenten nach ihrer Farbeigenschaft.
Dieses und weitere Agentenmodelle können zum Beispiel innerhalb der freien Softwarelösung NetLogo näher erkundet werden.