19.20.Jahrhundert: Unterschied zwischen den Versionen
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<u>19. und 20. Jahrhundert</u> | |||
Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland die Industrielle Revolution. Durch die Umwandlung einer Agrargesellschaft in eine industrielle Massengesellschaft entstanden soziale Missstände, die unter dem Begriff '''Soziale Frage''' zusammengefasst werden (u.a. Landflucht und Verstädterung, [http://de.wikipedia.org/wiki/Pauperismus Pauperismus], Existenzunsicherheit von Bauern und Handwerkern). Die Unzufriedenheit der Menschen führte zu gesellschaftlichen Gruppierungen, die jeweils unterschiedliche '''Ideologien''' zur Problemlösung vertraten ([http://de.wikipedia.org/wiki/Arbeiterbewegung Arbeiterbewegungen], [http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenbewegung Frauen]- und [http://de.wikipedia.org/wiki/Jugendbewegung Jugendbewegungen], [http://de.wikipedia.org/wiki/Kolpingwerk#Geschichte katholischer Kolping-Bund]). <br/> | |||
Aus diesen Fragen entstand der [[Logischer Positivismus (Wiener Kreis)|Positivismus]] des Wiener Kreises als ein Versuch, die Philosophie bei Ihrer Suche nach Antworten auf die soziale Frage mit der Methode der offensichtlich erfolgreichen Naturwissenschaften zu verbinden. Der positivistische Ansatz manifestierte sich schließlich im [[Behaviorismus]] des 20. Jahrhunderts als eine Psychologie, die streng nach empirischen Grundsätzen sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch gesellschaftsformend wirkte. <br/> | |||
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Doch zunächst begann die Psychologie im Verlauf des 19. Jahrhunderts, sich als Einzelwissenschaft zu etablieren, die aber noch in einem Suchprozess nach Paradigmen steckte, an denen sich die weitere Forschung orientieren sollte. <br/> | |||
Psychologische Strömungen des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich zum einen dadurch, ob sie '''naturwissenschaftlich-erklärende''' Forschung betreiben (so wie es heute weit verbreitet ist) oder sich einem '''geisteswissenschaftlich-verstehendem''' Ansatz ([[Humanistische Psychologie]] und [[Tiefenpsychologie]]) verschreiben sollte. <br/> | |||
Es entwickelten sich sowohl '''holistische''' Ansätze, die eine ganzheitliche, kontextuelle Betrachtung psychischer Prozesse forderten ([[Gestaltpsychologie]] und [[Systemtheorie]]), als auch '''elementaristische''' Ansätze, die auf der Vorstellung basieren, dass sich Psychisches aus miteinander assoziierten Elementen aufbaut (siehe [[David Hume]], [[Franz Josef Gall], [[Gottfried Wilhelm Leibniz|G.W. Leibniz]], [[Wilhelm Wundt]], [[Behaviorismus]] oder [[Konnektionismus]]). <br/> | |||
Zudem fließen verschiedene Positionen zum [[Leib-Seele-Problem]] und damit die Frage nach der '''Existenz von Mentalem''' in die unterschiedlichen Strömungen mit ein. Frühe Schulen wie der [[Elementarismus und experimentelle Psychologie|Elementarismus]], die [[Denkpsychologie]] oder die [[Tiefenpsychologie]] waren stark an geistigen Prozessen orientiert. Im radikalen [[Behaviorismus]] wurde die Existenz von nicht-materiellem komplett abgelehnt. Erst der [[Kognitivismus]] bezieht das Mentale als Forschungsgegenstand wieder mit ein. | |||
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<u>Die deutsche Psychologie wird amerikanisch</u><br/> | |||
<br/>Einen deutlichen Bruch in der Entwicklung der Psychologie stellt die Zeit des Nationalsozialismus dar. Bis zu dieser Zeit war die deutsche Experimentalpsychologie attraktiv und prägend für viele Forscher z.B. aus den USA. Durch die NS-Zeit erfuhr die Psychologie eine NS-ideologisch geprägte '''Gleichschaltung'''. Viele bedeutende Psychologen, deren Herkunft, Haltungen und Forschungen der Rassenideologie nicht entsprachen bzw. förderlich waren wurden umgebracht (darunter Otto Selz) oder im Endeffekt aus Deutschland vertrieben (u.a. Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Lewin, Karl Duncker), meist ins '''amerikanische Exil'''. Der dort sehr populäre [[Behaviorismus]] erschwerte das Überleben der eigenen Forschungslinien. <br/> | |||
In Deutschland wurde der Vorstand der DGfP (Deutsche Gesellschaft für Psychologen) innerhalb eines Jahres (1933/34) durch „politisch angepasste“ Führungskräfte ersetzt. Die ideologisch gleichgeschaltete [http://de.wikipedia.org/wiki/Psychologie_und_Psychotherapie_im_Nationalsozialismus Psychologie zu Zeiten des Nationalsozialismus] verlor nach Ende des 2. Weltkrieges allerdings rasch wieder an Bedeutung. So sehr die psychologische Forschung litt, so sehr wurde die Psychologie als praktisches Fach von den Nationalsozialisten genutzt und ausgestattet, z.B. für die militärische Diagnostik. Auf der therapeutischen Seite überlebte eine auf die „deutsche“ Psychotherapie verkürzte psychoanaltyische Therapie unter dem Dach des [http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Institut_f%C3%BCr_psychologische_Forschung_und_Psychotherapie deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie] die Kriegszeit. Eine Rückintegration dieser therapeutischen Richtung und ihrer Vertreter nach dem Nationalsozialismus gestaltete sich allerdings aufgrund der schweren Verwerfungen und inhaltlicher Divergenzen schwierig. <br/> | |||
<br/>Nachdem die ursprünglich von deutschen Forschern geprägte Experimentalpsychologie auf diese Weise „amerikanisiert“ worden war, prägte die angelsächsische Psychologie bis heute die weitere psychologische Forschung. | |||
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Aktuelle Version vom 1. April 2019, 10:46 Uhr
19. und 20. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert begann in Deutschland die Industrielle Revolution. Durch die Umwandlung einer Agrargesellschaft in eine industrielle Massengesellschaft entstanden soziale Missstände, die unter dem Begriff Soziale Frage zusammengefasst werden (u.a. Landflucht und Verstädterung, Pauperismus, Existenzunsicherheit von Bauern und Handwerkern). Die Unzufriedenheit der Menschen führte zu gesellschaftlichen Gruppierungen, die jeweils unterschiedliche Ideologien zur Problemlösung vertraten (Arbeiterbewegungen, Frauen- und Jugendbewegungen, katholischer Kolping-Bund).
Aus diesen Fragen entstand der Positivismus des Wiener Kreises als ein Versuch, die Philosophie bei Ihrer Suche nach Antworten auf die soziale Frage mit der Methode der offensichtlich erfolgreichen Naturwissenschaften zu verbinden. Der positivistische Ansatz manifestierte sich schließlich im Behaviorismus des 20. Jahrhunderts als eine Psychologie, die streng nach empirischen Grundsätzen sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch gesellschaftsformend wirkte.
Doch zunächst begann die Psychologie im Verlauf des 19. Jahrhunderts, sich als Einzelwissenschaft zu etablieren, die aber noch in einem Suchprozess nach Paradigmen steckte, an denen sich die weitere Forschung orientieren sollte.
Psychologische Strömungen des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich zum einen dadurch, ob sie naturwissenschaftlich-erklärende Forschung betreiben (so wie es heute weit verbreitet ist) oder sich einem geisteswissenschaftlich-verstehendem Ansatz (Humanistische Psychologie und Tiefenpsychologie) verschreiben sollte.
Es entwickelten sich sowohl holistische Ansätze, die eine ganzheitliche, kontextuelle Betrachtung psychischer Prozesse forderten (Gestaltpsychologie und Systemtheorie), als auch elementaristische Ansätze, die auf der Vorstellung basieren, dass sich Psychisches aus miteinander assoziierten Elementen aufbaut (siehe David Hume, [[Franz Josef Gall], G.W. Leibniz, Wilhelm Wundt, Behaviorismus oder Konnektionismus).
Zudem fließen verschiedene Positionen zum Leib-Seele-Problem und damit die Frage nach der Existenz von Mentalem in die unterschiedlichen Strömungen mit ein. Frühe Schulen wie der Elementarismus, die Denkpsychologie oder die Tiefenpsychologie waren stark an geistigen Prozessen orientiert. Im radikalen Behaviorismus wurde die Existenz von nicht-materiellem komplett abgelehnt. Erst der Kognitivismus bezieht das Mentale als Forschungsgegenstand wieder mit ein.
Die deutsche Psychologie wird amerikanisch
Einen deutlichen Bruch in der Entwicklung der Psychologie stellt die Zeit des Nationalsozialismus dar. Bis zu dieser Zeit war die deutsche Experimentalpsychologie attraktiv und prägend für viele Forscher z.B. aus den USA. Durch die NS-Zeit erfuhr die Psychologie eine NS-ideologisch geprägte Gleichschaltung. Viele bedeutende Psychologen, deren Herkunft, Haltungen und Forschungen der Rassenideologie nicht entsprachen bzw. förderlich waren wurden umgebracht (darunter Otto Selz) oder im Endeffekt aus Deutschland vertrieben (u.a. Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Lewin, Karl Duncker), meist ins amerikanische Exil. Der dort sehr populäre Behaviorismus erschwerte das Überleben der eigenen Forschungslinien.
In Deutschland wurde der Vorstand der DGfP (Deutsche Gesellschaft für Psychologen) innerhalb eines Jahres (1933/34) durch „politisch angepasste“ Führungskräfte ersetzt. Die ideologisch gleichgeschaltete Psychologie zu Zeiten des Nationalsozialismus verlor nach Ende des 2. Weltkrieges allerdings rasch wieder an Bedeutung. So sehr die psychologische Forschung litt, so sehr wurde die Psychologie als praktisches Fach von den Nationalsozialisten genutzt und ausgestattet, z.B. für die militärische Diagnostik. Auf der therapeutischen Seite überlebte eine auf die „deutsche“ Psychotherapie verkürzte psychoanaltyische Therapie unter dem Dach des deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie die Kriegszeit. Eine Rückintegration dieser therapeutischen Richtung und ihrer Vertreter nach dem Nationalsozialismus gestaltete sich allerdings aufgrund der schweren Verwerfungen und inhaltlicher Divergenzen schwierig.
Nachdem die ursprünglich von deutschen Forschern geprägte Experimentalpsychologie auf diese Weise „amerikanisiert“ worden war, prägte die angelsächsische Psychologie bis heute die weitere psychologische Forschung.