Risiko von Schäden und Verlusten

Aus eLearning - Methoden der Psychologie - TU Dresden
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Schäden

Es gibt verschiedene Arten von Schäden, die in ihrer Intensität je nach Art der Untersuchungsmethode sehr unterschiedlich ausfallen können. Man unterscheidet Unannehmlichkeiten (Zeitverlust, Langeweile), physische Schäden (Verletzungen, Schmerzen), psychische Schäden (Stress, Traumata), soziale Schäden (Schäden an Beziehungen) und wirtschaftliche und rechtliche Schäden (nach Sieber, 1992). Um diese verschiedenen Schäden angemessen bewerten zu können, wurde eine Risiko-Schätzungs-Matrix entwickelt, die fünf Faktoren der Schäden in die Bewertung miteinbezieht:


1. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Proband diesen Schaden erfährt?
2. Wie groß ist der Schaden?
3. Wie lange dauert der Schaden an (chronisch oder akut)?
4. Ist der Schaden reversibel?
5. Ist der Schade erkennbar und somit ggf. schnell behandelbar?

Diese fünf Faktoren (Wahrscheinlichkeit, Größe, Dauer, Reversibilität, Erkennbarkeit) können wiederum in fünf Intensitätsstufen bewertet werden (nicht, sehr gering, gering, moderat, hoch).
Anhand dieser Matrix erhält man ein Gesamtbild der Schadensrisiken und kann eine Ethikkommission eine Entscheidung fällen (Ablehnung vs. Genehmigung der Durchführung).

Beispiel einer Risiko-Schätzungs-Matrix:

Bewertungsfaktor
Art des Schadens Wahrscheinlichkeit Größe Dauer Reversibilität Erkennbarkeit
Unannehmlichkeit Hoch Moderat Sehr gering Hoch Hoch
Physisch Gering Gering Sehr gering Hoch Hoch
Psychisch Sehr gering Sehr gering Sehr gering Hoch Hoch
Sozial Sehr gering Sehr gering Sehr gering Hoch Moderat
Wirtschaftlich Nicht Nicht Nicht - -
Rechtlich Nicht Nicht Nicht - -



Schäden durch Enthaltung
Bei Studien, in denen Kontroll- oder Placebogruppen kein Treatment erhalten, muss außerdem geprüft werden, ob und inwiefern diese Enthaltung den Probanden schaden könnte. Vor allem bei Untersuchungen mit Medikamentengabe, Therapie-Studien und Studien, die mit Belohnungen arbeiten, könnte eine Enthaltung ethisch problematisch sein. Bei Medikamenten- und Therapiestudien enthält man Patienten einer womöglich wirksamen Therapie, sodass sie länger auf eine Heilung warten müssen, als dies gegebenenfalls außerhalb des Forschungsrahmens nötig wäre. Wenn der Experimentalgruppe im Rahmen ihres Treatments eine Belohnung zukommt, welche die Kontrollgruppe nicht erhält, muss geprüft werden, ob die Kontrollgruppe dadurch erheblich benachteiligt wird.
In einer Studie soll getestet werden, ob sich die Aussicht auf eine Belohnung (z.B. 5 Euro) auf die Motivation der Versuchsteilnehmer auswirkt (gemessen z.B. anhand der gemachten Fehler etc.). Die Kontrollgruppe darf also keine Belohnung erhalten, was aus ethischer Sicht nicht fair ist.

Bei solchen Studien gilt es abzuwägen, inwiefern die bewusst herbeigeführte "Benachteiligung" der Kontrollgruppen den Probanden tatsächlich mehr schadet, als wenn sie an keiner Studie teilnehmen würden. Es können Fälle eintreten, in denen die Kontrollgruppe zwar innerhalb des Forschungsrahmens benachteiligt wird, aber dennoch ein besseres Treatment erhält, als dies im Alltag der Fall wäre.
Eine Therapiestudie, die in der Kontrollbedingung Patienten auf die Warteliste setzt, ihnen aber später eine Therapie anbietet, die diese Personen im Normalfall gar nicht erhalten hätten, ist ethisch gegebenenfalls weniger problematisch zu bewerten, als eine Studie, die Patienten einer Therapie enthält, die sie im Normallfall umgehend hätten erhalten können.

Zudem sollte stets geprüft werden, ob die benötigte Kontrollgruppe sich eventuell "von selbst" ergeben könnte, ohne, dass sie aktiv bestimmt werden muss.
In einer Untersuchung zu Diätprogrammen soll geprüft werden, inwiefern die bloße Erwartung, an einem Diätprogramm teilzunehmen, sich auf Gewichtsveränderungen auswirkt. Dafür wird eine Gruppe von Versuchspersonen benötigt, die ohne Wartezeit direkt an dem Programm teilnimmt und eine Gruppe, die ein halbes Jahr Wartezeit hat, bevor das Programm für sie startet. Vor Beginn der Studie werden zwei Starttermine angeboten, zwischen denen die Probanden wählen können. Eine Wartelistengruppe ergibt sich so vermutlich von selbst, da es einige Personen geben wird, die sehr spontan und kurzfristig teilnehmen wollen und andere, die etwas Vorbereitungszeit für sich benötigen. So vermeidet man, dass die Versuchsleitung Termine zuweisen muss und Teilnehmer u.U. enttäuscht sind, dass sie nicht sofort mit dem Programm beginnen können.

Wenn in Studien Schäden (für die Kontrollgruppe) entstehen, muss die Überlegung angestellt werden, wie und ob diese Schäden nachträglich so behoben werden können, dass beide Gruppen letztlich wieder gleich behandelt werden. Eine Wartelisten-Kontrollgruppe kann diesen Zweck haben (am Ende erhalten alle das gleiche Treatment). Eine Studie, die mit Belohnungserwartungen arbeitet, kann der Kontrollgruppe zwar keine Belohnung ankündigen, sie aber letztlich dennoch aushändigen.

Nutzen

Unter Umständen kann der Proband auch einen persönlichen positiven Nutzen aus der Untersuchung ziehen.
Ganz generell kann ein Proband beispielsweise von dem reinen Erkenntnisgewinn durch die Teilnahme an einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt profitieren. Außerdem wird Probanden in vielen Fällen eine kleine Aufwandsentschädigung gezahlt (finanzielle Belohnung). Personen, die sich bereit erklären, an einer Therapiestudie teilzunehmen, erhalten gegebenenfalls eine Komplettfinanzierung der Therapie (welche für manche Personen sonst schwer bezahlbar wäre) oder zumindest einen Preiserlass. Zudem kommen sie in den Genuss von den aktuellsten Behandlungsmethoden auf dem neusten wissenschaftlichen Stand.
Gegebenenfalls profitiert ein Untersuchungsteilnehmer von mehr Selbsteinsicht nach einer Intervention, beispielsweise bei Studien, die eine gewisse Selbstreflexion erfordern (Persönlichkeitsfragebogen, Meinungsumfrage etc.).
Die Teilnahme an Experimenten im eigenen Fachbereich gilt außerdem für Stidierende, aber auch für bereits Arbeitstätige als fachliche Weiterbildung.

In gewissem Maße kann der persönliche Nutzen, der vermutlich aus der Studienteilnahme gezogen wird, kleinere Beeinträchtigungen und Untersuchungsrisiken aufwiegen. Wo hier die ethisch vertretbaren Grenzen liegen, legt die Ethikkommission fest.

Probleme der Schaden-Nutzen-Abwägung

Ein Abwägungsprozess zwischen potentiellem Schaden und Nutzen ist kaum objektiv durchführbar. Durch die heterogene Besetzung der Ethikkommission wird versucht, mögliche subjektive Verzerrungen weitestgehend auszuklammern. Ob dies wirklich gelingen kann, ist natürlich hinterfragbar, denn Schaden und Nutzen kann interindividuell sehr unterschiedlich interpretiert werden.
Zudem können in den Abwägungsprozess auch nur Risiken miteinbezogen werden, die bekannt sind. Es besteht also stets das Risiko, dass neue, bisher unentdeckte Schäden entstehen. Deshalb muss während jeder Untersuchung immer ein Versuchsleiter anwesend sein, der die Probanden beobachtet, für Hilfe, Rückfragen etc. bereit steht und im Notfall den Versuch abbrechen kann.
Ein weiteres Problem kann in der subjektiven Schaden-Nutzen-Analyse des Forschers liegen. Dieser ist neugierig auf neue Erkenntnisse und möchte möglichst viel forschen, was zu einer gewissen Voreingenommenheit bei der Bewertung von potentiellen Schäden führen kann – Risiken werden als weniger gefährlich eingeschätzt, um den Fortschritt der eigenen Untersuchung nicht zu beschränken. Auch hier ist es wiederum die Aufgabe der Ethikkommission, individuelle Interessen hinter die Sicherheit des Probanden zu stellen.